Zunächst einmal stellt sich die Frage: „Was genau ist Verhalten?“
Der Duden definiert Verhalten wie folgt: Substantiv, Neutrum [das], Art und Weise, wie sich ein Lebewesen, etwas verhält. (Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/Verhalten)
Wikipedia Definition: Als das Verhalten eines Lebewesens bezeichnet man in der Verhaltensbiologie „die Gesamtheit seiner Bewegungen, Lautäußerungen und Körperhaltungen“. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Verhalten_(Biologie))
Das Lexikon der Psychologie erklärt: Verhalten ist jenes Geschehen, das, an einem Organismus oder von einem Organismus ausgehend, außenseitig wahrnehmbar ist. (Quelle: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/verhalten/16243 )
Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert: Verhalten umfasst i.d.R. drei Dimensionen: Handeln, Dulden (Stillhalten, Zulassen) und Unterlassen als Nichthandeln. (Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/verhalten53405)
Kurz zusammengefasst: Verhalten ist alles, was ein Lebewesen tut, also Handeln, Denken, Fühlen.
Wenn wir ein bisschen weiter in die Tiefe gehen, unterscheidet man Reflexverhalten, operantes Verhalten und reflexartiges Verhalten. Das Reflexverhalten ist im Zusammenleben mit unseren Hunden zunächst einmal irrelevant, da wir es nicht beeinflussen können. Interessant wird es bei dem operanten und dem reflexartigen Verhalten.
Ihr habt sicherlich alle eurem Hund das „Sitz“ beigebracht. Wie habt ihr das gemacht? Vielleicht hat der Hund sich einfach mal hingesetzt (Verhalten) und ihr habt ihn dafür gelobt (Reaktion). Das ist dann immer öfter passiert, Hund setzt sich, ihr habt gelobt. Je öfter ihr ihn dafür gelobt habt umso häufiger wird er das Verhalten von sich aus gezeigt haben. Euer Hund hat euch sicherlich auch schon angesprungen (Verhalten). Die meisten Menschen, die ich kenne, mögen das nicht so gerne und unterbinden es auf die unterschiedlichsten Arten (Reaktion). Der Hund wird das Anspringen (Verhalten) nach und nach weniger häufig zeigen, da es für ihn eine unangenehme (z. B. wegschubsen) und/oder nicht lohnende (ignorieren) Reaktion gibt. Die Veränderung des Verhaltens aufgrund der Reaktion nennt man „operantes Verhalten“.
Aus dem operanten Verhalten entwickelt sich mit der Zeit und sehr vielen Wiederholungen dann das reflexartige Verhalten. Ihr seid zum Training auf dem Hundeplatz. Die Stunde beginnt, der Trainer sagt: „Die Hunde bitte in die Grundstellung.“ Am Anfang eurer Hundeplatzkarriere führt ihr den Hund mit einem Leckerchen an eure linke Seite und bringt ihn mit einem Signal (verbal und/oder Sichtzeichen) ins „Sitz“. Das passiert in jeder Stunde mehrere Male und das in jeder Trainingsstunde. Im Laufe eines Trainingsjahres kommt ihr auf eine Wiederholungsrate von ca. 1500 und mehr „Grundstellungen“. Irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem weder der Trainer euch noch was sagen muss noch ihr es eurem Hund signalisieren müsst, dass er sich an eure linke Seite setzen soll. Aus dem operanten Verhalten (Sitz mit Signal) wird ein reflexartiges „Sitz“ sobald ihr stehen bleibt. Das erklärt auch, warum das Verhalten „Steh“ und „Platz“ nur über ein Signal von euch von den Hunden gezeigt wird. Die Wiederholungsrate von „Steh“ und „Platz“ ist deutlich geringer als die beim „Sitz“.
Jetzt stellt sich noch die Frage: Können wir reflexartiges Verhalten eigentlich verändern? Ja, das können wir, wie im vorherigen Absatz bereits beschrieben. Durch Einwirkung auf den Hund ist dies möglich. Können wir reflexartiges Verhalten auch komplett löschen? Nein! Wir können durch unendlich viele Wiederholungen dafür sorgen, dass der Hund ein anderes Verhalten zeigt. Das wird im Normalfall dann auch funktionieren. Sobald sich aber die Außeneinflüsse extrem verändern, zum Beispiel durch eine Angstsituation, wird er wieder das alte Verhalten zeigen.
Zum besseren Verständnis hier noch mal das klassische „Iss‘n Rüde“ – Beispiel. Der Hund findet andere Rüden gruselig, überflüssig und hat sie „zum fressen gern“. Bisher hat er es durch bellen, knurren, auf den anderen Rüden zu springen oder rennen, immer geschafft sie sich auf Abstand zu halten. Er hat gelernt, dass dieses Verhalten ihn zum Erfolg führt. Nach und nach zeigt er das Verhalten auch gegenüber Hündinnen. Irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem er nur einen anderen Hund von weitem sieht und ausflippt. Er denkt gar nicht mehr darüber nach, dass der andere Hund vielleicht auch nett sein könnte. Jetzt ist dieses Verhalten für uns Menschen ja ziemlich anstrengend und nervig. Also trainieren wir über viele, viele Wiederholungen ein anderes Verhalten, vielleicht ein „Schau mich an“. Das klappt auch immer öfter und immer besser, vorausgesetzt, dass wir Menschen den anderen Hund frühzeitig wahrnehmen und auf unseren Rüden einwirken können. Nun kommt auf unserem Spaziergang die Kurve, die wir nicht einsehen können. Genau an der Ecke treffen wir auf einen anderen Rüden. Wir, also der Hund und der Mensch, erschrecken uns. Unser Rüde wird reflexartig sein altes Verhalten (knurren, bellen, springen) zeigen, da dieses nur durch Training überschattet wurde, aber nicht gelöscht.
Wer bis hierhin gelesen hat: Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit und ein großes Kompliment für dein Durchhaltevermögen. Ich hoffe, dass ich dir ein bisschen dabei helfen konnte zu verstehen „Warum tut mein Hund das?“